Tischlein deck dich - ein mathematisches Festessen
Warum überlassen wir das maschinelle Rechnen nicht den Computern? Und nehmen stattdessen ein weisses Papier und lösen Aufgaben, bei denen Computer scheitern würden? Willkommen beim Festessen der mathematischen Leckerbissen. Lassen Sie es sich schmecken und picken Sie sich ein paar Spezialitäten für Ihre Schülerinnen und Schüler heraus. Es könnte ihren Appetit anregen.
[Translate to English:] Bild: Annie Spratt, Unsplash
Empfehlungen des Chefs
Sitzen Sie gerade am Pult, mit Taschenrechner und Formelbuch? Legen Sie sie weg. Denn sie gehören nicht zur Welt der Mathematik-Olympiade. Spitzen Sie aber unbedingt ihr Bleistift, zücken Sie ihren Zirkel und suchen sie nach weissem Papier.
Eine kleine Vorbemerkung: Die Prüfungsaufgaben der Olympiade wollen die Denkfähigkeit der Schülerinnen und Schüler testen. Es handelt sich nicht um Rechenaufgaben. Die Lösungen sind Beweise, die auf allgemeinen Theoremen basieren, die auf konkrete Fragen angewandt werden. Das gründliche, genaue Denken ist die Qualität, die wir von den Schülerinnen und Schülern erwarten. Bei den internationalen Olympiaden, zum Beispiel, lösen die Jugendlichen 3 Problemstellungen. Dafür haben sie 4.5 Stunden Zeit. Viel Zeit also, um gründlich über ein Problem nachzudenken.
Addieren: Die langweilige Seite der Mathematik. Bild: Chris Liverani, Unsplash
Die Prüfungen haben vier Themen: Algebra, Kombinatorik, Geometrie und Zahlentheorie. Ich schlage vor, kurz durch diese Themengebiete zu gehen. Sie werden sehen: Die Themen sind vielfältig und einzigartig. Vielleicht lassen Sie sich bezirzen und bauen einige Beispiele in ihren Unterricht ein?
1. Sämige Suppe mit Funktionen und einer Prise Ungleichungen: Die gefürchtete Algebra
Von den vier Kategorien ist Algebra jene, die ihren Namen an wenigsten verdient. Sie hat sehr wenig damit zu tun, was wir im Alltag unter Algebra verstehen. Es sind oft die raffiniertesten Problemstellungen. Und paradoxerweise manchmal auch die technischsten. Sie werden sehen: Es sind Aufgaben, die sich stark von der Schulmathematik unterscheiden.
Am bekanntesten sind die Funktionalen Gleichungen. Die Teilnehmerinnen lösen hier eine Gleichung, bei der die Unbekannte eine Funktion ist. Ein Beispiel: Finden Sie alle Funktionen f der reellen Variablen mit reelen Werten wie
für beliebige reelle Zahlen x und y. Kommen Sie drauf? Die Lösung der Gleichung zu finden ist erst der Anfang. Danach müssen sie beweisen, dass es sich um die einzig möglichen Lösungen der Gleichung handelt. Und das, glauben Sie mir, ist dann nochmals eine ganz andere Sache.
Ungleichungen sind ebenfalls Aufgaben aus dem Bereich Algebra. Sie haben sehr wenig mit jenen Ungleichungen zu tun, die am Gymnasium gelernt werden. So arbeiten wir generell mit mindestens drei Variablen. Eine sehr bekannte Aufgabe unter Einsteigerinnen und Einsteigern ist diese hier:
Diese Ungleichung stimmt für alle reelle Zahlena,b und c . Wie würden Sie das beweisen? Kleiner Tipp: Wie kann man perfekte Quadrate bilden ?
2. Carpaccio aus Graphen beträufelt mit Regenbogenfarben: Die unendliche Kombinatorik
Hier also ein Thema, das oft in der Schule behandelt wird. Bei der Kombinatorik erforscht man die Konfiguration von Objekten und versucht, sie zu benennen. Theorie braucht es dafür meistens keine, abgesehen von ein paar einfachen Formeln. Ein bekanntes Beispiel ist das Schachbrett-Problem. Gegeben ist ein Schachbrett bei dem man 2 Felder entfernt, die sich diagonal gegenüberstehen. Die Frage lautet nun: Kann man die restlichen 62 Felder mit Domino-Steinen belegen? Denken Sie an die Farben der Felder.
Andere Schlüsselbegriffe der Kombinatorik sind das Schubfachprinzip, das Extremalprinzip oder die Doppelzahlen. Da keine Theorie gefragt ist, ist Kombinatorik vor allem bei Einsteigerinnen und Einsteigern der Olympiade sehr beliebt.
Wandtafel während einem Olympiadenkurs zu funktionalen Gleichungen. Bild: Arnaud Maret
3. Vorspeise aus Kreisen und Geraden serviert auf einer Wandtafel: die unantastbare Geometrie
Vergessen Sie Sinus und Vektoren. Die olympische Geometrie gleicht der Geometrie zu Zeiten Euclides und Archimedes. Die Fragestellungen behandeln vor allem Konstellationen von Kreisen und Geraden auf einer Ebene. Die Schüler analysieren die Konstellationen und zeigen nachher, dass einige Punkte kolinear sind oder dass sich zwei Geraden senkrecht schneiden.
Um die Aufgaben zu lösen, muss man grundlegende Theoreme kennen, wie zum Beispiel den Umfangs-Winkel oder die Eigenschaften von ähnlichen Dreiecken. Wieder wird also sehr wenig gerechnet. Dafür aber gründlich über geometrische Eigenheiten nachgedacht.
Wünschen Sie einen kleinen Wegproviant? Zeigen Sie, dass sich in einem Dreieck die Winkelhalbierende und die gegenüberliegende Mittelsenkrechte auf dem Umkreis des Dreiecks schneiden. Beginnen Sie mit einer schönen Skizze der Situation und jonglieren sie dann mit den Winkeln.
4. Mousse aus perfekten Quadraten, abgerundet mit Primzahlen-Schlagrahm: Die mystische Zahlentheorie
Wenn Gauss meinte, dass die Mathematik die Königin der Wissenschaft sei, so ist die Zahlentheorie die Königin der Mathematik. Sie ist ein bisschen rätselhaft, birgt hunderte von Problemen, denen auch die Schlausten nicht auf die Schliche kommen. Wie die Vermutungen von Riemann oder Goldbach, zum Beispiel.
Bei der Mathe-Olympiade setzen wir uns natürlich mit einfacheren Problemen auseinander. Legen Sie ihren Schülerinnen doch mal folgende Gleichung vor:
Gesucht sind nur ganze Lösungen (x, y) . Denken Sie an die Teilbarkeit. Das ist einer der Schlüssel in der Zahlentheorie.
Tee oder Kaffee? Zeit für ein Fazit
Sie haben sich nun etwas vertrauter gemacht mit der Art von Mathematik, die wir bei der Olympiade betreiben. Sie haben verstanden, dass das Wichtigste das eigenständige und gründliche Denken ist. Für motivierte Schüler sind unsere Aufgaben ein gelungenes amuse-bouche und eine gute Ergänzung zur Schulmathematik, die oft stärker aufs Rechnen und die Methode fokussiert ist.
Was halten Sie von unserem Verständnis von ausserschulischer Mathematik? Ich freue mich auf Ihre Rückmeldungen.
Zum Autor
Arnaud Maret studiert Mathematik im Master an der ETH Zürich. Seit 2013 ist er bei der Mathematik-Olympiade dabei. Er hatte das Glück, an der Internationalen Mathematik-Olympiade 2013 in Kolumbien teilnehmen zu dürfen. Seit 2016 begleitet er die Schweizer Teams an die internationalen Wettbewerbe. Dort begutachtet, übersetzt und korrigiert er die Prüfungen, zusammen mit Mathematikerinnen und Mathematikern aus 120 Ländern.